„Brandbrief“ – Besuch in Berlin-Pankow

Am vergangenen Montag waren wir zu Besuch bei den Gartenfreunden in Berlin-Pankow. Die dortigen Kleingärtner erleben den zurzeit wohl größten Skandal im organisierten Kleingartenwesen innerhalb unserer Republik. Der zuständige Bezirksverband musste mittlerweile Insolvenz anmelden. Es geht um Veruntreuung im Millionenbereich und um das Versagen aller Kontrollinstanzen. Momentan ist die Zukunft tausender Kleingärten mehr als ungewiss. Wir möchten euch von dieser Veranstaltung vom 11. März 2024 ausführlich berichten und schauen am Ende auch nochmal auf unseren Regionalverband der Gartenfreunde Quedlinburg e.V.

Hier geht es auch zu einem Bezahl-Artikel zum Thema der Berliner Morgenpost.

„Brandbrief“

Aus dieser Not heraus bildete sich unter der Führung von Axel Quandt der Verein „Brandbrief – Pankower Netzwerk und Notgemeinschaft gegen Korruption, Kriminalität und Unregelmäßigkeiten im Kleingartenwesen“. Quandt vermutet, dass Pankow nur die Spitze eines deutschlandweiten Problems darstellt, in dem einige Kleingartenverbände und -vereine völlig intransparent und unseriös arbeiten. Zum Beispiel sind Vorstandsmitglieder selbst im Verein angestellt oder man zahlt an sich hohe Gehälter und Aufwandsentschädigungen aus. Dabei wird jegliche Kritik nicht geduldet und teils mit illegalen Methoden unterbunden. Die IGG-Quedlinburg ist nicht zuletzt mit ihren Beiträgen vor allem in den sozialen Netzwerken auch den Akteuren in Berlin seit längeren aufgefallen und wurde wie auch andere Initiativen aus ganz Deutschland nach Pankow mit eingeladen.

Treffpunkt war gegen 16:30 Uhr das Vereinshaus der „Garten- und Siedlergemeinschaft Einigkeit e.V.“ am Kräuterplatz. Etwa 50 Zuhörer sind der Einladung gefolgt, darunter auch der örtliche FDP-Politiker Oliver Simon, Vertreter vom FairBund freier Kleingartenvereine e.V. aus Leipzig und der Lokalpresse.

Treffpunkt war das Vereinshaus der „Garten- und Siedlergemeinschaft Einigkeit e.V.“

Spitze des Eisberges

Gegen 17 Uhr eröffnete Axel Quandt die Veranstaltung mit einem Rückblick auf die Geschehnisse rund um den Bezirksverband der Gartenfreunde Pankow e.V. Erschreckend stellte Quandt gleich zu Beginn fest, dass viele der betroffenen Kleingärtner, welche nicht über Internet, Whatsapp oder E-Mail verfügen, immer noch völlig uninformiert seien.

Erste Unstimmigkeiten fielen Quandt bereits 2016/17 auf, als plötzlich einzelne Vorstandsmitglieder des Bezirksverbandes eine eigene GmbH gründeten mit dem Zweck Maklertätigkeiten bzw. den Verkauf von Erholungsflächen und Datschen durchzuführen. Dies stellte klar einen Interessenskonflikt mit der Verbandsarbeit dar, gerade in Bezug auf Insiderwissen. Darüber hinaus war die Vorsitzende des Verbandes in Doppelfunktion auch durch sich selbst als Geschäftsführerin noch angestellt.

Als Resümee im Nachgang stellte man das Versagen aller 3 vorhandenen Kontrollinstanzen fest:

  • Vorstand Bezirksverband
  • Rechnungsprüfungsausschuss (Revision)
  • Mitgliederversammlung

Axel Quandts Fazit am Ende war zudem sehr ernüchternd. Ohne speziell eine Anleitung geben zu wollen sagte er zu den Zuhörern, dass es mit der notwendigen kriminellen Energie ein leichtes sei, die Kontrollorgane des Vereines auszuschalten.

Kritiker wurden schikaniert

Speziell der Umgang mit Abweichlern und kritischen Nachfragern wurde weiter thematisiert. Quandt erzählte dabei auch von eigenen Erfahrungen. Schnell hieß es, wenn man unbequeme Fragen stellte, störe man den Vereinsfrieden und notfalls muss der Verein sich so einen Störenfried einfach entledigen. Von Wortmeldungen auf Mitgliederversammlungen wie „dann schmeißt ihn raus“ wurde weiter berichtet. Hinzu nutzte der Bezirksverband seine Machtstellung aus, um kritische Gartenfreunde zu schikanieren und einzuschüchtern. Zum Beispiel führten Verbandsfunktionäre einzelne gezielte Gartenbegehungen bei Abweichlern durch oder man musste durch die Schätzer des Verbandes Nachteile bei der Rückgabe der Kleingartenparzelle bei Übergabe befürchten. Da kann der Garten auch schnell mal nichts mehr Wert sein.

Weitere genannte Beispiele:

  • Gartenbegehungen: Sollte der Pächter nicht da sein, verschaffe man sich gewaltsam Zugang
  • Debatte um Doppelzahlungen während Insolvenz: Wer nicht zahlt wird dem Eigentümer oder sogar dem Arbeitgeber gemeldet
  • Kritische Nachfragen stören den Vereinsfrieden und gezielte Ausladungen von Vereinsfeiern

An dieser Stelle zeigt sich auch ganz deutlich wie das Abhängigkeitsverhältnis der Vereine und Gartenfreunde zum jeweiligen Verband als Problem der ganzen Misere mit benannt wird. Die Vereinsvorstände erhalten meist nur die Verwaltungsvollmacht, dürfen also im Namen des Verbandes Pachtverträge ausstellen und in seinem Namen die Flächen der jeweiligen Gartenanlage verwalten. Die Vereinsmitglieder und Pächter sind direkt durch den Pachtvertrag mit dem Verband in dessen Abhängigkeit.

Deutschlandweites Netzwerk

All diese Erfahrungen möchte Axel Quandt nutzen um ein deutschlandweites Netzwerk aufzubauen. Der neu geschaffene „Brandbrief“-Verein soll in erster Linie zur Vernetzung und gegenseitiger Hilfe dienen. Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken, so Quandt und berichtet weiter von Vorkommnissen in Hamburg, Köln, Rostock, Leipzig aber auch in Quedlinburg. Als Verwaltungsbeamter schwor er vor vielen Jahren einen Eid auf das Grundgesetz und steht für Recht und Gesetz ein. Die Willkür muss ein Ende finden. Mitmachen im „Brandbrief“-Verein kann jeder. Der Mitgliedsbeitrag beträgt „NULL“ Euro.

Petition und Berichte aus Rostock

Im weiteren Verlauf wurde eine Petition gerichtet an den deutschen Bundestag vorgestellt. Man möchte erreichen, dass Vereinsmitglieder auch bei berechtigtem Interesse außerhalb von Mitgliederversammlungen ein Auskunftsrecht in Zukunft besitzen. Axel Quandt ist sich sicher, dass nicht sofort der Bundeskanzler und seine Minister sich über dessen Umsetzung beraten werden, aber man wolle einen Dialog beginnen und das Thema auf die Tagesordnung setzen.

Anschließend berichtete Doreen Wall aus Rostock von Geschehnissen um den dortigen Verband der Gartenfreunde e.V. Hansestadt Rostock. Wall kritisierte besonders die hohen Gehälter und die Finanzierung eines Fernstudiums. Auch das die mehreren defizitären Haushalte in den Vorjahren so gut wie alle Rücklagen aufbrauchte, sorgte für Unmut bei der Rostocker Kleingärtnerin.

Unterstützung von der FDP

Der örtliche FDP-Politiker Oliver Simon sprach als nächstes auf der Veranstaltung. Dieser ist in der Vergangenheit besonders durch seine Äußerungen in der Berliner Morgenpost aufgefallen. Er berichtete von eigenen Erlebnissen bei einem Immobilienverwalter vor 25 Jahren und möchte sich für den Erhalt aller Kleingärten einsetzen. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass der Bezirksverband auch erhalten bleiben muss. Simon regte die Aufnahme von Compliance-Regeln, wie sie in der Politik und in Firmen üblich sind, auch in Vereinssatzungen an. Jedoch benötigen Vorstände auch Vertrauen, satt zu viele Vorschriften des Misstrauens.

FairBund freier Kleingartenvereine e.V.

Joachim Starke und Bernd Holz vom FairBund freier Kleingartenvereine e.V. stellten den interessierten Zuhörern ihren Leipziger Verein vor. Besonders wurden die regelmäßig stattfindenden Weiterbildungen und die Wissen-Sammlung auf der eigenen Cloud hervorgehoben. Der Mitgliedsbeitrag pro Verein und Jahr mit 50€ fällt sehr moderat im Vergleich zu manch einem Verbandsbeitrag aus und sorgte für erstaunen. Anschließend wurde noch weiter darüber diskutiert wie man mit der Problematik von Verwaltungsvollmachten und Verbandswechsel umgehen könnte.

FairBund freier Kleingartenvereine e.V.

Bezirksverband noch zu retten?

Diese Frage stellte am Ende Axel Quandt auch noch an alle Anwesenden und zeigte Vor- und Nachteile auf. Gegen eine Rettung spricht aktuell der nicht sichtbare Neuanfang auf Ebene des Bezirksverbandes. Zudem bereitet der noch ungewisse Schuldenberg in Millionenhöhe Sorgen und man wird auf „Sonderzahlungen“ (Schenkungen) von den Mitgliedern angewiesen sein. Quandt vermutet eine Negativspirale, bei denen immer weniger Menschen überhaupt noch Sonderbeiträge leisten wollen und können. Am Ende wäre das ganze Geld einfach futsch und Teil der Insolvenzmasse. Ein weiteres Problem stellt der mögliche Verlust der steuerlichen Gemeinnützigkeit dar.

Die andere Möglichkeit wäre es den Bezirksverband abzuwickeln. In diesem Fall müsste der Insolvenzverwalter die Pachtverträge alle kündigen. Die Kleingärten sind deswegen aber nicht über Nacht verschwunden, so Quandt und befürwortet diesen Weg. Die Eigentümer und besonders die Stadt Berlin seien dann gezwungen sich für alternative Verbände zu öffnen. Und es sei selbstverständlich jederzeit möglich, dass sich ein neuer Verband gründet.

Parallelen auch in Quedlinburg

Gerade der Umgang mit kritischen Gartenfreunden, welche sehr schnell immer als vereinsschädigend wahrgenommen werden, weisen eine erstaunliche Parallele zu unserem Regionalverband in Quedlinburg auf. Anstatt sich der Diskussion zu stellen oder gar Umdenkprozesse anzustreben, setzt man immer mehr auf Ignorieren und Aussitzen. Der aktuelle Höhepunkt rund um den illegalen Ausschluss eines Vereinsvorsitzenden von den Mitgliederversammlungen des Regionalverbandes Quedlinburg stellen dem Verbandsvorstand ein ebenso trauriges Zeugnis aus.

Die IGG-Quedlinburg möchte weiter die Verbindungen nach Berlin-Pankow erhalten und so seinen Teil im notwendigen Transformations-Prozess im organisierten Kleingartenwesen beitragen. Wollt ihr keinen Beitrag mehr verpassen? Dann folgt uns am besten auch über Facebook und lasst ein „Like“ da. Wir würden uns auch weiterhin über freiwillige Spenden über GoFundMe sehr freuen.